10. März 2022

«Es braucht Verständnis für die Haltung der anderen Gemeinde»

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Die Stadt Bern und Ostermundigen haben Aufgaben, die sie heute mit je eigenen Verwaltungsabteilungen und Gemeindebetrieben erfüllen, dazu gehören z. B. das Kehrichtwesen, die Bauverwaltung, die Verkehrsplanung, die Schulen, die Sozialdienste, die Kulturförderung. Insgesamt sind es über 100 übertragene oder selbst gewählte Gemeindeaufgaben. Im Teilprojekt Aufgabenerfüllung des Fusionsprojektes «Kooperation Ostermundigen – Bern» werden diese Aufgabe zurzeit analysiert und in Verhandlungen je einer Fusionslösung zugeführt, also so vorbereitet, dass sie nach der Volksabstimmung im Juni 2023 im Falle eines Ja zusammengeschlossen werden können.

Die Verhandlungen in diesen Bereichen der Aufgabenerfüllung leitet der Jurist Martin Buchli von der Arbeitsgemeinschaft Recht & Governance.

 

1. Martin Buchli, Sie handeln in über 100 Bereichen Fusionslösungen aus. Wie gehen Sie dabei vor?

MB: Die Grössenverhältnisse der Stadt Bern sind sehr unterschiedlich, sowohl bezogen auf die Bevölkerungszahl als auch hinsichtlich der Anzahl Mitarbeiter*innen. Da liegt es auf der Hand, dass in Bezug auf die Aufgabenerfüllung im Wesentlichen eine Eingliederung der in Ostermundigen wahrgenommen Aufgaben in die Strukturen der Stadt Bern erfolgen muss. Ein umgekehrtes Vorgehen würde daran scheitern, dass die Strukturen der Gemeinde Ostermundigen gar nicht in der Lage wären, die Aufgaben für eine fusionierte Gemeinde mit 160'000 Einwohner*innen zu erfüllen.

2. Wie packen Sie denn die Eingliederung vor diesem Hintergrund konkret an?

MB: In einem ersten Schritt haben wir mit allen Abteilungsleiter*innen von Ostermundigen Gespräche geführt und die von den Abteilungen erbrachten Leistungen im Detail aufgenommen. Bereits in dieser Phase wurden Überlegungen dazu angestellt, wie diese Aufgaben in eine fusionierte Stadt Bern überführt werden können. Aufgabenbereiche, bei denen ein Zusammenführen zum Fusionszeitpunkt nicht möglich sein würde – namentlich wegen langfristiger Vertragsbeziehungen mit anderen Gemeinden oder Organisationen – wurden ausgewiesen und dem Lenkungsausschuss zur Kenntnis gebracht.

Die Eingliederung der so erfassten Aufgaben in die städtischen Strukturen wurde in einem zweiten Schritt mit den Generalsekretariaten der Stadt Bern erörtert, also in Bern «gespiegelt». Dieser Vorgang diente dazu, die hautsächlich betroffenen Abteilungen der Stadt Bern zu bestimmen und politisch sensible Themen frühzeitig zu erkennen. Zudem haben wir in diesem zweiten Schritt die Aufgaben erfasst, welche derzeit nur in der Stadt Bern wahrgenommen werden.

In einem dritten Schritt haben wir mit den hauptsächlich betroffenen Abteilungsleitungen der Stadt Bern Gespräche geführt. Dabei ging es darum, mögliche Varianten bzw. Szenarien der Aufgabeneingliederung und der Ausweitung von bislang nur in der Stadt Bern wahrgenommenen Aufgaben miteinander zu vergleichen und zu priorisieren. In dieser Phase haben wir zudem mit mehreren kantonalen Stellen (wie dem Amt für Gemeinden und Raumordnung, der Kantonspolizei und dem Amt für Kindergarten, Volksschule und Beratung) rechtliche und organisatorische Fragen geklärt.

Zuletzt haben wir – als vierter Schritt – gemeinsame Gespräche mit den Abteilungen von Bern und Ostermundigen geführt, um noch offene «technische» und «organisatorische» Fragen zu erörtern. Es ging bei diesen Gesprächen nicht darum, politische Entscheidungen zu fällen.

Unseres Erachtens sind nun – Stand Anfang März 2022 – alle rechtlichen und «technischen» Fragestellungen soweit aufbereitet, dass die erforderlichen Entscheidungen auf politischer Ebene gefällt werden können.

3. Fusionsverhandlungen, da stellt man sich vor, dass zwei Exekutiven miteinander über Details des Zusammenschlusses feilschen. Kommt es im ganzen Prozess auch zu direkten Verhandlungen zwischen den Gemeindeexekutiven?

MB: Natürlich gibt es Verhandlungen auf politischer Ebene. Zunächst muss aber für die Politik aufbereitet werden, über was überhaupt verhandelt werden kann. Wir nennen dies den «Verhandlungsrahmen». Dieser wird durch rechtliche und faktische Gegebenheiten eingeschränkt. Insbesondere gilt es zu beachten, dass die Vertragsparteien mit dem Inkrafttreten einer Fusion in einer juristischen Person aufgehen, womit keine unterschiedlichen Rechtssubjekte mit gegenseitigen Rechten bzw. Pflichten bestehen, die sich vertraglich binden können. Bereits aus diesem Grund ist es nicht möglich, die neue Gemeinde vertraglich bei der Aufgabenerfüllung „zu binden“. Die fusionierte Gemeinde ist in ihren politischen Entscheidungen vielmehr frei; sie wird ihre eigene Dynamik entwickeln und die politischen Prioritäten bei der Aufgabenerfüllung setzen.

Im Weiteren ist das vorliegende Fusionsprojekt kein «Aufgabenreformprojekt». Würden wichtige Aufgabenreformen in Zusammenhang mit dem Fusionsprojekt angegangen, würde sich eine politische Gegnerschaft formieren, die nichts mit der politischen Frage zu tun hat, ob eine Fusion von den Stimmberechtigten der beiden Gemeinden gewollt ist.

Schliesslich ist zu beachten, dass Verhandlungen nur dann Sinn ergeben, wenn die Verhandlungsergebnisse auch rechtlich umgesetzt werden können. Es bringt nichts, Themen politisch zu verhandeln, welche erst nach der Fusion – durch die Organe der fusionierten Gemeinde – entschieden werden können. Rechtlich verankert werden die Ergebnisse der Fusionsverhandlungen im Fusionsvertrag und im Fusionsreglement. Nur diesen beiden Dokumenten kommt Verbindlichkeit zu. Beide Dokumente müssen vom Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) vorgeprüft werden und sind genehmigungspflichtig.

Die Bereiche, in denen tatsächlich im klassischen Sinne zwischen den Exekutiven verhandelt werden kann und verhandelt werden muss, sind letztlich überschaubar.

4. Wie kann bei strittigen Punkten Einigkeit erzielt werden?

MB: Wichtig ist zunächst, Klarheit zu erlangen, bei welchen Punkten überhaupt unterschiedliche Ansichten bestehen. Im Weiteren braucht es Verständnis für die Haltung der Fusionspartnerin – also der anderen Gemeinde. Insbesondere ist es wichtig, dass die Stadt Bern die Befürchtungen und Sorgen von Ostermundigen ernst nimmt. Für Ostermundigen wird eine Fusion viel weitergehende Konsequenzen haben als für die Stadt Bern. Da ist es verständlich, dass Vereine, Organisationen, Gewerbebetreibende und auch die Einwohnerinnen und Einwohner gewisse Ängste haben. Es erscheint mir deshalb auch wichtig, für eine Übergangsphase «Sonderlösungen» für den Stadtteil Ostermundigen zu schaffen.

Auf der anderen Seite muss Ostermundigen verstehen, dass alle für den Stadtteil Ostermundigen gewährten Sonderlösungen sachlich begründet werden müssen und nicht dauerhaft andere Rechte für Ostermundigen gelten können als für den Rest der fusionierten Stadt Bern. Die Ostermundiger*innen stellen nach einer Fusion keine Minderheit in der Stadt Bern dar, sondern es sind Einwohner*innen der Stadt Bern, wie die Einwohner*innen anderer Stadtteile auch.

Ich bin zuversichtlich, dass in allen Bereichen die erforderlichen Einigungen erzielt werden können, wenn Verständnis für die Haltung der Gegenseite besteht. Selbstverständlich gibt es aber – wie bei allen Verhandlungen – auch das Szenario, dass in wesentlichen Fragen keine Einigkeit erzielt werden kann.

5. Ziel der Verhandlungen sind «Fusionslösungen» für die einzelnen Bereiche, das tönt ziemlich technokratisch. Was bedeutet «Fusionslösung» konkret?

MB: Das Zusammenführen der Aufgabenerfüllung bei einer Fusion ist tatsächlich ein weitgehend technokratischer Vorgang. Dies zeigt auch das hiervor erörterte, bisherige Vorgehen, bei welchem den Verwaltungen der beiden Gemeinden eine ganz wesentliche Rolle zugekommen ist.

Im Teilprojekt Aufgabenerfüllung geht es nicht um Überlegungen aus einer übergeordneten und langfristigen Sichtweise (dazu diente die Phase 1 des Projekts «Machbarkeitsstudie»), sondern um die ganz konkrete Frage, wie die Aufgaben ab dem 1. Januar 2025 (Fusionszeitpunkt) wahrgenommen werden. Anders ausgedrückt: Nicht die langfristigen Zielvorstellungen in den Politik- bzw. Sachbereichen werden dargestellt, sondern die konkreten Regelungen für die Zeit unmittelbar nach dem rechtlichen Zusammenschluss. Dazu gehören Sonderregelungen für die Gemeinde Ostermundigen, welche es ermöglichen, das Vereins- und Gesellschaftsleben von Ostermundigen zu erhalten und zu pflegen.

6. Aus Rücksicht auf die Verhandlungen gehen wir hier nicht auf konkrete Beispiele ein. Trotzdem aber interessiert: Wann werden die gefundenen Lösungen der Öffentlichkeit vorgestellt?

MB: Wichtige Aussagen erhalten bereits die von beiden Gemeindeparlamenten zur Kenntnis genommenen «Eckwerte» für die Fusion. So bedeutet die Beschränkung des Fusionsprojekts auf die fusionsrelevanten Themen eben auch, dass keine eigentlichen Aufgabenreformen erfolgen. Zudem gibt es keine Garantien, was insbesondere bedeutet, dass Sonderlösungen für Ostermundigen – auch wenn sie unbefristet gewährt werden – nicht für die Ewigkeit gelten. Vielmehr können die zuständigen Organe der fusionierten Stadt Bern später darauf auch wieder zurückkommen.

Wann die Öffentlichkeit über Details der Arbeiten des Teilprojekts Aufgabenerfüllung informiert wird, haben die Projektorgane zu entscheiden.

7. Hat die Bevölkerung auch die Möglichkeit, sich einzubringen?

MB: Derzeit werden in unterschiedlichen Gefässen Möglichkeiten zur Partizipation geboten. Ich gehe davon aus, dass sich daraus auch wertvolle Hinweise gewinnen lassen, in welchen Bereichen Sonderlösungen für Ostermundigen angezeigt sind. Im Weiteren wird sich die Bevölkerung während der Vernehmlassung einbringen können.

Es erscheint mir aber auch wichtig, der Bevölkerung durch gezielte Information aufzuzeigen, dass der Verhandlungsrahmen bei der Aufgabenerfüllung nicht riesig ist.

(Das Interview wurde schriftlich geführt)


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